Mischkonsum: Denn Sie wissen nicht, was sie tun.

Jugendliche gehen lebensgefährliche Risiken ein, wenn sie sich mit psychoaktiven Medikamenten in Kombination mit anderen Substanzen berauschen. Warum, erklärt der Suchtpräventionsexperte Domenic Schnoz.

Von Brigitte Müller

laut & leise: Was wird in der Suchtprävention als Mischkonsum bezeichnet?

Domenic Schnoz: Werden mehr als eine Substanz gleichzeitig oder zeitnah eingenommen, sprechen wir von Mischkonsum. Die Fachwelt interessiert sich dabei für jene Substanzen, die eine psychoaktive Wirkung erzeugen. Besorgniserregend ist dabei, dass die Kombination von mehreren Substanzen schwer abschätzbare Folgen haben kann – mitunter kann das tödlich enden. l & l: Weshalb ist der missbräuchliche Mischkonsum für die Zürcher Fachstelle zur Prävention des Suchtmittelmissbrauchs (ZFPS) ein Thema?

Schnoz: Innerhalb des Verbundes der Stellen für Suchtprävention ist die ZFPS die spezialisierte Fachstelle für die Prävention des Suchtmittelmissbrauchs. Dabei legen wir einen Schwerpunkt auf Alkohol, bestimmte Medikamente sowie Tabak- und nikotinhaltige Produkte. Somit interessiert uns nicht nur der Konsum dieser einzelnen Substanzen, sondern ebenso der Mischkonsum. Wir entwickeln und lancieren zielgruppenspezifische Projekte, führen Weiterbildungen durch, leisten Öffentlichkeitsarbeit und sind schweizweit eng vernetzt mit verschiedenen Akteuren der Suchtprävention und der Schadensminderung.

l & l: Welche Menschen, die verschiedene Substanzen gleichzeitig einnehmen, stehen seit Längerem im Fokus?

Schnoz: Untersuchungen zeigen, dass bei älteren Menschen ein chronischer, riskanter Alkoholkonsum ein Thema ist. In Kombination mit bestimmten rezeptpflichtigen Medikamenten entsteht ein Mischkonsum, der mit hohen Risiken für die Betroffenen verbunden ist. Auch in der Partyszene werden seit vielen Jahren psychoaktive Substanzen gemischt konsumiert. In jüngster Zeit machen tragische Todesfälle unter jungen Menschen, die rezeptpflichte Medikamente in Kombination mit Alkohol oder/und anderen Substanzen zu sich nehmen, von sich reden.

l & l: Was passiert im Körper, wenn verschiedene Substanzen gemischt eingenommen werden?

Schnoz: Es gibt sedierende Substanzen wie Alkohol, Heroin, Schlaf- und Beruhigungsmittel, die beruhigen, müde machen und verlangsamend wirken. Im Gegensatz zu den aufputschenden, wach und leistungsfähig machenden Substanzen wie Kokain, Amphetamin, Ecstasy. Werden nun solche Substanzen gemischt und zeitnah konsumiert, beeinflussen sich die Substanzen gegenseitig, sodass unkontrollierte Wechselwirkungen entstehen können. Die Wirkungen der verschiedenen Substanzen können sich dabei
gegenseitig verstärken, mit unabsehbaren Folgen. Brandgefährlich wird es, wenn sedierende Substanzen wie Alkohol und Schlafmittel oder ein starkes Schmerzmittel gleichzeitig eingenommen werden.

l & l: Warum?

Schnoz: Innert kürzester Zeit kann man das Bewusstsein verlieren und dabei eine Atemlähmung erleiden. Durch die Bewusstlosigkeit wird die Atemlähmung nicht bemerkt – weder von der betroffenen Person noch vom Umfeld. Oder es wird einem übel und in der Bewusstlosigkeit atmet man das Erbrochene ein und erstickt daran. Auch eine Atemdepression, also eine Herabsetzung der Atmung, ausgelöst durch sedierende Substanzen, kann lebensgefährlich sein. Werden sedierende mit aufputschenden Substanzen kombiniert, beispielsweise Alkohol mit Kokain, ist vor allem die dadurch entstehende, extreme Belastung für den Körper problematisch. Insbesondere das Herz-Kreislauf-System wird dabei in Mitleidenschaft gezogen, was im Extremfall zu einem Schlaganfall oder Herzinfarkt führen kann.

l & l: Was versprechen sich die Jugendlichen vom Mischkonsum?

Schnoz: Vorab möchte ich erwähnen, dass abgesehen von der HBSC-Studie* wissenschaftliche Fakten zum Medikamentenmissbrauch unter Jugendlichen bis heute fehlen. Um diese Fragen und auch weitere zu beantworten, stütze ich mich auf Informationen basierend auf Ermittlungen der Polizei, Einschätzungen von Fachpersonen, Rückmeldungen von Suchtberatungsstellen und individuellen Aussagen von jugendlichen Konsumentinnen und Konsumenten. Meistens kommt es zum Mischkonsum im Ausgang oder in der Gruppe von Gleichaltrigen. Es geht dabei, wie so oft, um den Kick, den Rausch, das Mitmachen und Dabeisein. Man möchte seinen Mut beweisen oder den stressigen Alltag vergessen oder man probiert einfach aus Langeweile etwas Neues aus.

l & l: Welche Jugendlichen praktizieren solch gefährlichen Mischkonsum?

Schnoz: Die Bandbreite von Jugendlichen scheint sehr gross zu sein – von gut integrierten, unauffälligen Jugendlichen bis hin zu Jugendlichen aus prekären Lebenssituationen. Auch betreffend Bildung und sozialen Hintergrund ergibt sich für mich im Moment kein einheitliches Muster.

l & l: Welche Medikamente sind bei Jugendlichen besonders beliebt?

Das Gefährliche am Mischkonsum ist, dass er oft zufällig, ohne Wissen über die entstehenden wechselseitigen Wirkungen, aus Spass oder Langeweile betrieben wird. Es kann zehnmal gut gehen, aber beim elften Mal kann eine Wirkung eintreten, zum Beispiel wegen gefälschter Medikamente, die sehr schnell lebensgefährlich sein kann.

Schnoz: Die Bandbreite von Jugendlichen scheint sehr gross zu sein – von gut integrierten, unauffälligen Jugendlichen bis hin zu Jugendlichen aus prekären Lebenssituationen. Auch betreffend Bildung und sozialen Hintergrund ergibt sich für mich im Moment kein einheitliches Muster.

l & l: Welche Medikamente sind bei Jugendlichen besonders beliebt?

Schnoz: Erfahrungen zeigen, dass Jugendliche Schlaf- und Beruhigungsmittel, also Benzodiazepine wie Xanax oder Seresta, einnehmen. Beliebt sind auch starke Schmerzmittel oder Hustensirups, sogenannte opioidhaltige Medikamente. Ausserdemwerden Medikamente konsumiert, die eigentlich zur Behandlung von Aufmerksamkeitsdefizitstörungen eingesetzt werden, zum Beispiel Ritalin. Der Grund dafür liegt in der stimulierenden Wirkung dieser Substanzen, die als «saubere»Alternative zu Amphetaminen gesehen werden.

l & l: Wie beschaffen sich die Jugendlichen die rezeptpflichtigen Medikamente?

Schnoz: Der Zugang muss relativ einfach sein – über die sozialen Medien, den Freundeskreis, lokale Kleindealer, den Medikamentenschrank zuhause oder mit gefälschten Rezepten. Auch über das Darknet sind psychoaktive Medikamente erhältlich. Der Kauf von Medikamenten online oder auf dem Schwarzmarkt ist besonders gefährlich. Auch wenn Verpackung und Inhalt wie das Original aussehen, können es gefälschte Medikamente sein, deren Inhaltsstoffe, Dosierung und Wirkung von den Packungsangaben abweichen.

l & l: Welchen Gefahren setzen sich die Konsumenten beim Mischkonsum aus?

Schnoz: Das Gefährliche am Mischkonsum ist, dass er oft zufällig, ohne Wissen über die entstehenden wechselseitigen Wirkungen, aus Spass oder Langeweile betrieben wird. Es kann zehnmal gut gehen, aber beim elften Mal kann eine Wirkung eintreten, zum Beispiel wegen gefälschter Medikamente, die sehr schnell lebensgefährlich sein kann. Unter Umständen braucht es für eine bedrohliche Reaktion auch nur eine geringe Menge an Alkohol in Kombination mit einer anderen psychoaktiven Substanz. Die unberechenbare Wirkung, die von Körper zu Körper anderes ablaufen kann, erhöht die Risiken eines Mischkonsums enorm.

l & l: Können Sie uns weitere Risiken aufzählen?

Schnoz: Grundsätzlich können Schlaf und Beruhigungsmittel abhängig machen und zu Schlafstörungen führen. Bei einer häufigen Einnahme von Benzodiazepinen kann das Gedächtnis beeinflusst werden und/oder es kommt zu einer Gefühlsabflachung, einer Art Gleichgültigkeit gegenüber allem. Neben einer Suchtentwicklung können zudem psychische Störungen wie eine Depression entstehen. Wir müssen aber auch andere Risiken beachten, wie beispielsweise die erhöhte Gefahr eines Unfalls, insbesondere eines Autounfalls oder eines sexuellen Übergriffs. Oder es kommt zu Konflikten in der Schule, bei der Berufslehre oder es drohen finanzielle Probleme und so weiter.

l & l: Was können Eltern oder Lehrpersonen unternehmen, wenn sie ahnen oder wissen, dass Jugendliche einen bedenklichen Mischkonsum praktizieren?

Schnoz: Es ist wichtig, dass man sich informiert und sich bewusst macht, dass die Einnahme von Medikamenten, besonders auch in Zusammenhang mit dem beschriebenen Mischkonsum, gefährlich ist. Deshalb sollte man bei einer Vermutung versuchen, frühzeitig mit der/ dem Jugendlichen darüber zu reden. Im Dialog seine Sorgen thematisieren, aber keine Vorwürfe formulieren und keine Vorverurteilungen aussprechen. Bei Unsicherheiten raten wir, sich die Hilfe von Fachleuten zu holen, beispielsweise bei der Regionalen Suchtpräventionsstelle.

l & l: Sie haben erwähnt, dass die Datenlage zum Mischkonsum, insbesondere mit Medikamenten, in der Schweiz noch sehr lückenhaft ist. Sollte es nicht mehr fundierte Informationen darüber geben?

Schnoz: Nicht nur die Datenlage zur Verbreitung ist unzureichend, sondern wir wissen zu wenig über Konsummotive, Konsumarten, über ein allfälliges Risikobewusstsein. Vielleicht kennen die betroffenen Heranwachsenden selber Strategien, wie sie das Risiko mindern können? Weiter möchten wir mehr darüber wissen, wie genau wir unsere Präventionsangebote auf die bereits konsumierenden Jugendlichen oder solche, die kurz vor dem Konsum stehen, ausrichten müssen. Deshalb ist unsere Fachstelle auch Kooperationspartner der Studie «Wodka, Benzos & Co: Jugendliche und junge Erwachsene mit Mischkonsum», die seit Januar 2021 bis März 2023 vom ISGF der Universität Zürich durchgeführt wird.

l & l: Können Sie uns knapp die wichtigsten Elemente dieser Studie vorstellen?

Schnoz: Der Kern ist eine Onlinebefragung von jungen Menschen im Alter von 14 bis 20 Jahren zum Mischkonsum. Wenn Teilnehmende dabei äussern, dass sie gerne eine Beratung annehmen möchten, werden sie von einer Fachperson des Projektteams kontaktiert und an ein geeignetes Angebot triagiert. Basierend auf den Umfrageergebnissen und in Zusammenarbeit mit Fachinstituten und mit Jugendlichen werden aufgrund der Befragungsergebnisse entsprechende Interventionskonzepte erarbeitet.

l & l: Welche Angebote stellen die Stellen der Suchtprävention des Kantons Zürich zur Verfügung?

Schnoz: Grundsätzlich sind unsere Angebote auch kompatibel mit dem Thema Mischkonsum. Für Schulen bieten wir ja seit Langem das bewährte Angebot der Früherkennung und Frühintervention an. Mit den damit erarbeiteten Massnahmen können Lehrerinnen und Lehrer den Mischkonsum zum Thema machen, sensibilisieren und informieren, aber auch lernen, wie sie möglichst frühzeitig Alarmsignale erkennen und adäquat reagieren können. Um in den Dialog mit den Jugendlichen treten zu können, ist sicher auch der Weiterbildungskurs «MOVE» hilfreich. Die Methode wird in diesem «laut & leise» auf den Seiten 12 bis 14 beschrieben. Im November 2020 hat der Zürcher Stellenverbund erstmals ein Informationspapier zum Thema «Medikamente als Drogen» veröffentlicht. Da wir auch überkantonal stark vernetzt sind, stehen wir zudem im ständigen Kontakt mit anderen Fachleuten und tauschen unser Wissen und unsere Erfahrungen aus.




* Schüler/innen-Studie Health Behaviour in Schoolaged Children (HBSC), 2018

 

Domenic Schnoz ist Leiter der Zürcher Fachstelle zur Prävention des Suchtmittelmissbrauchs (ZFPS). Er ist Soziologe mit dem Schwerpunkt Sucht.

Brigitte Müller, Texterin und Redaktionsleitern «laut & leise», stellte die Fragen.

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laut & leise 2021-03 | Mischkonsum

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