Schule – eine Lebensphase mit vielen Übergängen
Wirksame Suchtprävention in der Schule ist in mehrere Handlungsfelder eingebettet und fördert tragende Beziehungen zwischen Lehrpersonen und Schülerinnen und Schülern. Der Lehrplan 21 formuliert zentrale suchtpräventive Inhalte.
Von Larissa Hauser und Esther Kirchhoff _laut & leise 3-2020
Unser Sohn ist jetzt ein Erstklässler! Und doch ist er erst vor Kurzem auf die Welt gekommen, scheint mir. Als Eltern waren wir damals die wichtigsten Bezugspersonen, zusammen mit den Grosseltern, später mit den Nachbarn und externen Betreuungspersonen. Vor zwei Jahren dann die erste grosse Ablösung: Ich habe unseren Sohn allein in den Kindergarten ziehen sehen. Die Schule als neuer Lebensabschnitt begann, neue Lebensinhalte und Denkweisen eröffneten sich ihm. Das nahmen wir auch als Eltern zuhause wahr. Und nun, vor ein paar Wochen, wieder dieses Herzklopfen: Unser Sohn wechselte in die erste Klasse. Ein aufregender Tag. Viele Fragen und Unsicherheiten beschäftigten uns als Eltern in Bezug auf diesen Übertritt: Wird er Freude am Lernen finden? Wird er sich in der neuen Klassengemeinschaft wohl fühlen? Wird er den Draht zur Lehrperson finden? Und wird sie ihn bei Schwierigkeiten unterstützen? Wir Eltern werden als Bezugspersonen und Vorbilder mehr in den Hintergrund rücken und das Feld mit Lehrpersonen und Peers teilen, es ihnen irgendwann sogar mehrheitlich überlassen. Umso wichtiger ist es uns, dass wir der Schule vertrauen können, dass die Lehrpersonen und die Schulleitung uns auf Augenhöhe begegnen und sie uns in die Geschehnisse rund um unser Kind einbeziehen. Wir hoffen, dass die Schule in der Begleitung unseres Sohnes am gleichen Strick ziehen wird wie wir.
Gute Beziehungen
Als ehemalige Primarlehrerin und als Fachperson für schulische Suchtprävention beschäftigen mich genau die gleichen Fragen und Anliegen. Um das Vertrauen der Eltern in die Schule zu stärken, würde ich ihnen antworten: «Gute Beziehungen zwischen Lehrpersonen und Schüler/innen sowie ein positives Schulklima sind uns in der Schule sehr wichtig. Wir setzen den Fokus auf die Stärken der Kinder, fördern sie in den Schulfächern und auch in ihren Lebenskompetenzen, damit sie gesund und zuversichtlich durch die Schulzeit in den Beruf und ins Leben gehen. Wir sind aufmerksam und achten auf eine gute Gruppendynamik unter den Schülerinnen und Schülern. In der Pubertät werden wir besonders wachsam sein und mit den Jugendlichen über Risikokompetenz und Eigenverantwortung sprechen. Wenn uns etwas ungewöhnlich erscheint, suchen wir das Gespräch mit den betreffenden Kindern oder Jugendlichen, mit anderen Lehrpersonen und auch mit Ihnen als Eltern. Wir sind gut vernetzt und bei Schwierigkeiten gibt es Fachpersonen, die Ihr Kind, Sie als Eltern und uns als Schule unterstützen können. Wir sind darum bemüht, dass es Ihrem Kind gut geht und es gut lernen kann.»
Den Eltern ein gutes Gefühl zu geben und sie bei ihren Bedürfnissen abzuholen, ist das Ziel dieser ausführlichen Antwort. Fachlich gesehen beschreibt diese Antwort die optimalen Bedingungen für Gesundheitsförderung und Prävention an Schulen. Es sind die zentralen Anliegen schulischer Suchtprävention, wie sie auch im Lehrplan 21 formuliert sind. Weiterführende Informationen zum Thema finden sich im Artikel «Sucht als Thema schulischer Gesundheitsförderung und Prävention» im Suchtmagazin.*
Anliegen der Suchtprävention
Schulische Suchtprävention unterstützt die gesunde und sichere Entwicklung von Kindern und Jugendlichen, damit diese ihr Potenzial entfalten und die Entwicklungsaufgaben in Schule und Leben konstruktiv bewältigen können. Die Schule als Lernort, an dem Kinder und Jugendliche viel Zeit verbringen, ist prädestiniert, dieses gesellschaftliche Anliegen umzusetzen. Sie ist gut organisiert und hoch strukturiert. Damit können Massnahmen umfassend und langfristig realisiert werden, indem alle an der Schule beteiligten Akteur/inn/en zusammenarbeiten und ihr spezifisches Wissen einbringen.
Um den Schulen diesen modernen und wirksamen Ansatz der Suchtprävention zugänglich zu machen, entwickelten die Stellen für Suchtprävention im Kanton Zürich in den 2000er-Jahren das Modell zur schulischen Suchtprävention. Die Aktualisierung des Modells auf der Grundlage von Praxis- und Forschungswissen wurde im Jahr 2020 abgeschlossen.
Modell mit vier Handlungsfeldern
Vier Handlungsfelder umschreiben die suchtpräventiven Anliegen (siehe auch unten, Link zum Modell). Dabei fliessen verhaltens- und verhältnispräventive Elemente ein, die mit Blick auf eine gesunde Entwicklung von Schüler/innen relevant sind und einer Suchtentwicklung entgegenwirken:
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- Handlungsfeld «Basis: Verankerung im Schulalltag»: Ein Fundament gelingender Suchtprävention sind tragende Beziehungen, ein lern- und entwicklungsförderliches Klima auf allen Ebenen der Schule sowie die Partizipation aller an der Schule Beteiligten, um das Schulleben mitverantwortlich zu gestalten. Dies stärkt das Gefühl der Zugehörigkeit und schafft ein Beziehungsnetz, das auch im Krisenfall das Potenzial hat, die Kinder und Jugendlichen aufzufangen. Ziel ist es, Suchtprävention als festen Bestandteil eines gesundheitsförderlichen Schulalltags im Schulprogramm zu verankern.
- Handlungsfeld «Unterricht und Projekte»: Im Zentrum steht über alle Schulstufen hinweg die Stärkung relevanter Schutzfaktoren, insbesondere der Lebenskompetenzen. Dazu gehört auch die altersangemessene Vermittlung von substanz- und verhaltensspezifischem Wissen. Wichtige Bedingungen für einen suchtpräventiv wirksamen Unterricht sind die interaktive Auseinandersetzung der Schüler/innen mit den Inhalten und dass diese an ihre Lebenswelt anknüpfen. Das soll ermöglichen, gewünschte Handlungsweisen längerfristig im Schulalltag zu erproben und zu trainieren.
- Handlungsfeld «Früherkennung und Frühintervention»: Verhaltensauffälligkeiten oder Regelverstösse in der Schule können Warnzeichen für ungünstige Entwicklungen sein. Gleichzeitig gilt es, Stärken und Ressourcen der Kinder und Jugendlichen zu erkennen. Wenn beide Bereiche frühzeitig wahrgenommen wer-den, ist es möglich, die Schüler/innen und ihre Bezugspersonen rechtzeitig geeignet zu unterstützen sowie im Schulalltag einen angemessenen Umgang mit der Problematik zu finden. Im Mittelpunkt der schulinternen Zusammenarbeit steht eine gemeinsame Haltung des Hinschauens (Früherkennung) und Handelns (Frühintervention), d. h. ein koordiniertes und verbindliches Vorgehen mit geklärten Zuständigkeiten und Abläufen. Dies sorgt für Handlungssicherheit und ermöglicht in akuten Krisensituationen ein rasches Handeln.
- Handlungsfeld «Zusammenarbeit und Vernetzung»: Über die schulinterne Zusammenarbeit hinaus ist eine gute, verlässliche und aktive Zusammenarbeit mit den Eltern sowie mit Fachstellen von zentraler Bedeutung. Auch die Vernetzung mit lokalen Jugendorganisationen und Vereinen kann wichtig sein. Denn die Abstimmung zwischen verschiedenen Bezugspersonen der Schüler/innen erhöht die Chance, dass deren Einstellungen und Verhalten nachhaltig positiv beeinflusst werden können.
Über
Das Modell für schulische Suchtprävention
Das Modell zur schulischen Suchtprävention wurde von einer Arbeitsgruppe der Stellen für Suchtprävention im Kanton Zürich, unter Federführung der Fachstelle Suchtprävention Volksschule der PH Zürich, aktualisiert. Es zeigt, wie schulische Suchtprävention in vier Handlungsfeldern wirksam umgesetzt werden kann und stellt die jeweiligen Angebote der Suchtprävention für Schulen vor.
Fachpersonen der regionalen Suchtpräventionsstellen im Kanton Zürich nutzen das Modell in der Beratung und Begleitung von Schulen.
Kontakt
Begleitung und Beratung
Die Suchtpräventionsstelle in Ihrer Region unterstützt Schulen.
Auskunft zum Modell
Ansprechperson: Ariane Koch, PH Zürich, ariane.koch@phzh.ch
Schul- und Beratungsalltag
Das Modell bietet Orientierung und Überblick, wie Suchtprävention im Schulalltag umfassend und wirkungsvoll umgesetzt werden kann, und richtet sich an die verschiedenen im Schulsetting tätigen Personen. Lehrpersonen arbeiten im direkten Kontakt mit den Schüler/innen und koordinieren die suchtpräventiven Inhalte über alle Zyklen hinweg. Schulleitende schaffen die strukturellen Voraussetzungen und Ressourcen, damit suchtpräventive In-halte schulweit verankert und umgesetzt werden. Schulsozialarbeitende und weitere schulische Fachpersonen begleiten und unterstützen die Schüler/innen, das Schulkollegium und die Schulleitung mit ihrem Fachwissen und ihren Erfahrungen. Fachpersonen der regionalen Suchtpräventionsstellen stehen den Schulen beratend und begleitend zur Seite.
Die Zusammenarbeit und Abstimmung aller beteiligten Akteure sowie die Vernetzung der verschiedenen Handlungsfelder sind dabei zentral. Dies ist wirkungsvoller als die Durchführung von isolierten Einzelmassnahmen.
Schulen sind unterschiedlich affin für die verschiedenen suchtpräventiven Themen und deren Einbettung in die Schulstruktur. Bedarfsorientiert können Schulen bei einem bestimmten Handlungsfeld einsteigen und danach weitere Handlungsfelder erarbeiten. Die Fachpersonen der regionalen Suchtpräventionsstellen im Kanton Zürich unterstützen Schulen bei der systematischen und koordinierten Umsetzung der suchtpräventiven Anliegen. Sie bieten Beratung, wie die sucht-präventiven Inhalte strategisch im Leitbild und im Schulprogramm verankert und konkret im Schulalltag realisiert werden können. Dabei bestärken sie Schulen darin, alle an der Schule Beteiligten an diesem Schul- und Qualitätsentwicklungsprozess partizipieren zu lassen.
Die regionalen Suchtpräventionsstellen nutzen das Modell zudem für den Fachdiskurs. Der regelmässige Austausch zwischen den Fachstellen über die Inhalte des Modells und über Erfahrungen bei seiner Umsetzung soll zu Erkenntnissen führen, wie die Praxis den grössten Nutzen aus der Anwendung des Modells ziehen kann.
Fürs Leben lernen
Unser Sohn ist gut in der ersten Klasse angekommen. Jeden Tag trägt er stolz seinen Rucksack mit den Aufgaben nach Hause und erledigt sie gleich am Küchentisch. Ich mache mir keine Illusionen, dass es immer so sein wird. Gleichzeitig hoffe ich aber, dass seine kindliche Freude am Lernen noch eine ganze Weile anhält und genährt wird durch ein gute Lernatmosphäre und Schulkultur. Als Mutter wünsche ich mir langfristig für unseren Sohn, dass er einigermassen erfolgreich durch die Schulzeit geht, Tiefen und Höhen übersteht und ermutigt und gestärkt den nächsten Übergang und den Weg in die Berufsbildung oder eine weiterführende Schule schafft; dass er ein für sich glückliches, gesundes und erfolgreiches Leben verwirklichen kann. Als Eltern sind wir darauf angewiesen, dass es gut qualifizierte Fachpersonen in und um die Schule herum gibt, die unsere Bedürfnisse und die unseres Kindes wahrnehmen, unsere Fragen hören, sie basierend auf wissenschaftlichen Befunden und bewährten Modellen einordnen, professionell beantworten und in einen grösseren Kontext stellen. So gelingt Schule und so gelingt Prävention. Das wünsche ich allen Kindern, Eltern und Schulen.