MOVE-Weiterbildung: Schwierige Gespräche führen
Wie kann man mit Jugendlichen über ihre Schwierigkeiten sprechen? Wie motiviert man sie, problematisches Verhalten zu verändern? Die Weiterbildung MOVE vermittelt wirkungsvolle Gesprächstechniken.
Von Christa Gomez und Urs Rohr
Die junge Frau, die mir gegenübersitzt, wirkt sehr klar. Sie weiss vieles über Cannabis und versucht gar nicht erst, ihren eigenen Konsum zu verbergen. Ja, sie kiffe und sie kenne die Risiken. Und ja, sie habe auch schon schlechte Erfahrungen mit diesem Suchtmittel gemacht. Aber vor dem Einschlafen einen Joint zu rauchen, das brauche sie, um sich zu entspannen. Ausserdem würden alle ihre Freunde auch kiffen. Nun habe die Schulsozialarbeiterin sie hierhergeschickt und das finde sie ganz o.k. Toll, denke ich, da wird es ein Leichtes sein, ihr den letzten Schubs in die «richtige Richtung» zu geben, damit sie mit dem Kiffen aufhört oder ihren Konsum zumindest reduziert. Ich betone also nochmals die negativen Auswirkungen des Cannabiskonsums, lasse mir von ihr bestätigen, dass ihr Konsum sicherlich nicht gesundheitsförderlich ist, und versichere ihr wiederholt, dass ihr Leben ohne Cannabis besser wäre. Schön, da konnte ich helfen, denke ich. Doch weit gefehlt: Ein halbes Jahr später steht die junge Frau wieder in meinem Büro – und kifft noch immer.
Was ist falsch gelaufen?
Hat meine Beratung nichts genützt? Was wäre der richtige Ansatz gewesen? Solche oder ähnliche Situationen kennen wahrscheinlich die meisten Fachpersonen, die mit Jugendlichen oder jungen Erwachsenen arbeiten. Man begleitet und unterstützt sie nach bestem Wissen und Gewissen – doch die angestrebte Veränderung tritt nicht ein. Nicht selten sind Verunsicherung und aufkommende Selbstzweifel die Folge.
Das Interesse an Präventionsthemen ist bei Jugendlichen meist begrenzt: Zu gross ist das Vertrauen in die Stärke der eigenen Jugend, zu weit weg die Probleme, die eine Suchtentwicklung mit sich bringt. Es fällt ihnen schwer, sich vorzustellen, eine Situation könnte ihnen entgleiten, fühlen sie sich doch kompetent und stark. Zudem erleben sie ihren Konsum in schwierigen Situationen oft auch als kurzfristige Erleichterung und halten darum an diesem fest, auch wenn andere Bewältigungsstrategien angewendet werden müssten.
Die Beratung von Jugendlichen und jungen Erwachsenen kommt also einer Gratwanderung gleich. Schlägt man einen allzu schulmeisterlichen Ton an, steht man schnell auf verlorenem Posten, denn Belehrungen werden wenig geschätzt. Aber eine zu saloppe und kumpelhafte Kommunikation erzielt die gewünschte Wirkung leider auch nicht. Es gilt also, die richtigen Worte und die richtige Art der Intervention zum richtigen Zeitpunkt zu finden. Dabei hilft MOVE.
Was ist MOVE?
MOVE ist eine dreitägige Weiterbildung, die von Ginko, der Stiftung für Prävention in Nordrhein-Westfalen, entwickelt und von der Universität Bielefeld wissenschaftlich begleitet und evaluiert worden ist.
Ursprünglich wurde MOVE als «MOtivierende KurzinterVEntion bei konsumierenden Jugendlichen» für das Setting Jugendarbeit/Jugendhilfe entwickelt, mittlerweile werden adaptierte MOVE-Weiterbildungen auch für die Settings Schule, Arbeitsplatz und Frühpädagogik angeboten.
Zwölf Bausteine beleuchten anhand kurzer theoretischer Inputs Themen wie Entwicklungsaufgaben, Umgang mit Widerstand, Diskrepanzen in der Lebensführung und aktives Zuhören. Mit Übungen in Kleingruppen und praxisnahem Training von Gesprächssituationen werden die neuen Kenntnisse gleich selbst angewendet. So kann die Gesprächstechnik aus beiden Perspektiven erlebt werden, als Beratungsperson wie auch als Klient/in.
MOVE liegt eine empathische Haltung zugrunde, bei der das Individuum im Zentrum steht und als Expertin/Experte des eigenen Lebens akzeptiert wird. Ziel der Methode ist, ein Gesprächsumfeld zu schaffen, in dem Jugendliche ihr Konsumverhalten und seine Gefahren bewusst reflektieren können – ohne dass dabei Abstinenz als einzige Alternative propagiert wird, sondern geprüft wird, wie der Konsum so angepasst werden kann, dass die (potentiell) schädlichen Auswirkungen reduziert werden. MOVE eignet sich besonders für Personen, die bereits riskante Konsummuster oder ein anderes problematisches Verhalten aufweisen. Dabei ist keine explizite Veränderungsbereitschaft nötig, im Gegenteil: In kurzen, spontanen Gesprächen «zwischen Tür und Angel» werden Interesse und Offenheit signalisiert, Probleme angesprochen und Hilfe angeboten.
Modell und Methoden
MOVE stützt sich auf das Transtheoretische Modell der Verhaltensänderung (TTM) nach Prochaska und DiClemente sowie die Motivierende Gesprächsführung (Motivational Interviewing, MI) nach Miller und Rollnick (siehe Literaturtipps im Kasten). Das TTM geht davon aus, dass Veränderung nicht auf einer einmaligen Entscheidung basiert, sondern ein Prozess ist. Dieser lässt sich in fünf Stadien gliedern:
- Absichtslosigkeit: «Ich rauche gern!»
- Absichtsbildung: «Ich bin mir der Schädlichkeit meines Tabakkonsums bewusst und möchte irgendwann aufhören.»
- Vorbereitung: «Ich informiere mich über Rauchstopp-Angebote, an meinem Geburtstag werde ich aufhören!»
- Aktion: «Gestern habe ich meine letzte Zigarette geraucht.»
- Aufrechterhaltung: «Auch wenn esmanchmal noch schwierige Momente gibt: Ich rauche seit drei Monaten nicht mehr.
Diese Phasen werden auf dem Weg zu einer Veränderung aber nicht linear durchlaufen, sondern es kann auch zu «Rückfällen» in frühere Stadien kommen.
Zu jedem der fünf Stadien gibt es passende Interventionsformen, die den Klienten oder die Gesprächspartnerin unterstützen, Motivation aufzubauen, um das nächste Stadium in Angriff zu nehmen. Bei Personen im Stadium der Absichtslosigkeit beinhaltet die Intervention zum Beispiel die Vermittlung sachlicher Informationen zu den Risiken eines bestimmten Verhaltens. Bei jemandem, der in der Absichtsbildungsphase ist, kann es die Bearbeitung von Ambivalenzen sein: «Welche Vorteile bringt es mir, weniger zu kiffen? Worauf muss ich verzichten, wenn ich weniger kiffe?»
Interventionen, die in einem Stadium wirksam sind, können in einem anderen wirkungslos oder sogar kontraproduktiv sein. Es ist beispielsweise nicht sinnvoll, einer absichtslosen Raucherin Nikotinkaugummis zu empfehlen, das steht erst in der Vorbereitungsphase an. Ebenso bringt es wenig, mit einem frischen Ex-Rauchenden (Stadium Aktion) nochmals die (subjektiven) Vor- und Nachteile des Rauchens zu erörtern.
Motivierende Gesprächsführung
Methodisch orientieren sich MOVE-Gespräche an der Motivierenden Gesprächsführung (MI). Bei MI handelt es sich um eine klientenzentrierte, aber zielgerichtete Methode zur Steigerung der Eigenmotivation für eine Veränderung. Wichtige Prinzipien bei MI sind etwa «Empathie zeigen», eine «akzeptierende Haltung vertreten», «Beweisführung vermeiden», «Selbstwirksamkeit stärken» oder ein «flexibler Umgang mit Widerstand».
Besondere Bedeutung kommt auch der Bearbeitung von Diskrepanzen und Ambivalenzen zu. Unter Diskrepanzen werden innere Widersprüche verstanden: Ein/e Jugendliche/r will zwar im Fussballverein in die nächsthöhere Mannschaft aufsteigen, hat aber vor drei Monaten zu rauchen angefangen. Das Aufdecken solcher Widersprüche kann sehr hilfreich sein, schafft es doch die Grundlage für eine bewusstere Auseinandersetzung. Etwas weniger gegensätzlich als Diskrepanzen sind Ambivalenzen: Eine Jugendliche liebt zwar das gesellige Zusammensein unter Alkoholeinfluss, der allfällige Kontrollverlust und der Kater am nächsten Tag sind ihr allerdings unangenehm.
Nehmen wir zur Verdeutlichung unser Eingangsbeispiel. Zwar ist der jungen Frau bewusst, dass ihr Verhalten nicht gesundheitsförderlich ist, und schlechte Erfahrungen hat sie unter Cannabiseinfluss ebenfalls schon gemacht. Will sie aber damit aufhören? Nein, zumindest nicht heute oder morgen. Da keine ausreichende Veränderungsmotivation vorliegt, ist es in diesem Moment sinnlos, ihr konkrete Tipps zum Aufhören zu vermitteln. Sie befindet sich wahrscheinlich in der Phase der Absichtsbildung: Ganz sorglos/ absichtslos ist sie zwar nicht mehr, aber noch immer zieht sie aus ihrem Konsum mehr Vor- als Nachteile. Hilfreicher wäre es daher, mit ihr das Dafür und Dawider zu erheben, sie dieses gewichten zu lassen, mit ihr diese Waage zu analysieren – und sie dann auch wieder laufen zu lassen. Denn ein grosser Teil des Veränderungsprozesses vollzieht sich ausserhalb der Beratungssituation. Der Anspruch, immer gleich eine grundlegende Wirkung zu erzielen, ist entsprechend zu ambitiös. Und doch: Jedes Gespräch und jede noch so kleine Intervention haben einen Effekt. Wichtig ist bei der Förderung der Motivation für eine Verhaltensänderung immer, dass sowohl «Wichtigkeit» als auch «Zuversicht » gestärkt werden. Die Klient/innen müssen die Verhaltensänderung nicht nur wichtig finden, sie müssen auch überzeugt sein, eine Verhaltensänderung erfolgreich umsetzen zu können. Es geht also auch darum, kleine, erreichbare Ziele zu formulieren, die vielleicht noch nicht den erwünschten Endzustand beschreiben, aber auf dem Weg in die richtige Richtung Erfolgserlebnisse ermöglichen.
MOVE im Kanton Zürich
Vor 15 Jahren liessen sich erstmals ein gutes Dutzend Mitarbeitende der Stellen für Suchtprävention im Kanton Zürich zu MOVE-Trainer/innen ausbilden. Seither haben regelmässig neue Kolleginnen und Kollegen dieses Trainer-Zertifikat erlangt, welches dazu berechtigt, selbst Kurse anzubieten. So werden seither auf kantonaler Ebene regelmässig MOVE-Kurse für Jugendarbeitende und Kontaktlehrpersonen an Berufs- und Mittelschulen angeboten. Auch entsprechende Fortbildungen für Schulärztinnen, Sozialarbeitende oder Sozialpädagogen wurden schon mehrfach realisiert, teilweise für Teilnehmende aus dem ganzen Kanton, teilweise für einzelne Regionen oder Institutionen.
Seit einem Jahr wird unter dem Titel «Gespräche mit Eltern – Professionell zum vertrauensvollen Dialog» auch eine MOVE-Weiterbildung für Fachpersonen im Frühbereich (Hebammen, Kitas, Spielgruppen, Mütter- und Väterberatung) angeboten. Obwohl MOVE ursprünglich mit dem Fokus auf konsumierende Jugendliche entwickelt wurde, hat die Erfahrung der letzten Jahre deutlich gezeigt, dass die Methode auch für andere Themen und die Klient/innen müssen die Verhaltensänderung nicht nur wichtig finden, sie müssen auch überzeugt sein, eine Verhaltensänderung erfolgreich umsetzen zu können. Es geht also auch darum, kleine, erreichbare Ziele zu formulieren, die vielleicht noch nicht den erwünschten Endzustand beschreiben, aber auf dem Weg in die richtige Richtung Erfolgserlebnisse ermöglichen. Gesprächspartner/innen bestens geeignet ist. Mittels MOVE lässt sich zum Beispiel gut mit Jugendlichen darüber reflektieren, weshalb sie die Schule schwänzen. Oder mit Eltern von kleinen Kindern, weshalb sie ihren Nachwuchs wiederholt im Winter nur leicht bekleidet in die Kita bringen.
Die vielen positiven Rückmeldungen unserer Teilnehmer/innen bestätigen uns in unserem Vorhaben, das Angebot von MOVE-Kursen weiter auszubauen. Aber nicht nur für die Weiterbildung von Berufsleuten in verschiedenen Settings hat sich MOVE bewährt – es ist auch in der täglichen Arbeit einer Suchtpräventionsstelle immer wieder nützlich. Sei es im Gespräch mit der oben geschilderten jungen Frau oder auch in Verhandlungen mit Multiplikator/innen und Kooperationspartnern, in denen es sehr hilfreich sein kann, mit den Methoden von MOVE die Motivation und den Willen zur Veränderung zu erkennen und zu fördern.
Christa Gomez, Projektleiterin Schule & Bildung, und Urs Rohr, Bereichsleiter Freizeit & Arbeit bei der Suchtpräventionsstelle der Stadt Zürich; zertifizierte MOVE-Trainer/innen.
Weiterführende Literatur
«Motivierende Gesprächsführung»: William R. Miller und Stephen Rollnick, Lambertus-Verlag, 2015
«Motivierende Gesprächsführung mit Jugendlichen und jungen Erwachsenen», Sylvie Naar-King, Mariann Suarez, Beltz Verlag, 2012.
«Klare Worte finden – Elterngespräche in der Kita»: Ulrike Lindner, Verlag an der Ruhr, 2013
Weiterführende Informationen zu MOVE: www.ginko-stiftung.de/move
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